Donnerstag, 20. Oktober 2016

Sternstunde vor 100 Jahren


RotFuchs 225

Zur neuerlichen Verunglimpfung
der Oktoberrevolution


Dr. Kurt Laser

Es „droht“ der 100. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Die Medien bereiten sich jetzt schon darauf vor, dieses Ereignis zu verfälschen. So brachte der MDR am Sonntag, dem 17. Juli, eine Dokumentation unter dem Titel „Lenin, die Deutschen und der Zarenmord“. Es ist wie immer das gleiche Schema. Einige Fakten stimmen. Dazu kommen dann noch einzelne Halbwahrheiten. Der Rest sind Lügen. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an. In der Vorschau der Zeitschrift „Super TV“ wird Lenin als sehr eitler Mensch bezeichnet, weil er immer großen Wert auf sein Äußeres legte und immer gut gekleidet war. Dazu gibt es die glaubwürdige Geschichte, daß Clara Zetkin Lenin Anfang der 20er Jahre fragte: „Wladimir Iljitsch, haben Sie diesen Anzug nicht schon 1907 auf dem Stuttgarter Sozialistenkongreß getragen?“ Lenin freute sich, und sagte: „Haben Sie ihn erkannt?“ Aber Clara Zetkin schimpfte mit ihm. Er solle sich einen neuen Anzug zulegen.

Die Fernsehmacher müssen andererseits zugeben, daß Lenins Lebensstil asketisch war. Er trank nicht und rauchte nicht. Sie bescheinigen ihm auch, daß er intelligent war, mehrere Fremdsprachen beherrschte und Beethoven liebte. Leute, die Lenin achteten, sagten ihm nach, daß seine einzige Eitelkeit seine geistige Überlegenheit war.

Woher die Autoren allerdings den Blödsinn haben, daß Lenin 99,5 Prozent aller Marxisten als Vollidioten bezeichnet haben soll, und nur sich selbst als Marxisten gesehen hat, bleibt unerfindlich. Angeknüpft wird dieser Unsinn an Lenins berechtigte Auseinandersetzung mit Kautsky. Lenin schätzte Karl Marx und Friedrich Engels sehr hoch ein. Und auf der Fahrt 1917 durch Deutschland begleiteten ihn – so der Film – seine marxistischen Freunde.

Dem Hauptdarsteller haben die Maskenbildner eine gewisse Ähnlichkeit mit Lenin verschafft. Sein Spiel hat mit dem wirklichen Lenin allerdings nicht viel zu tun. Seine Kenntnisse über diese herausragende Persönlichkeit der Weltgeschichte sind offenbar begrenzt. Aus der Schulzeit erinnert er sich noch an die Gedichtzeile „Im Kreml brennt noch Licht“. Das Gedicht war aber nicht Lenin, sondern Stalin gewidmet.

Lenin sei von einer gnadenlosen Härte und von Macht besessen gewesen, heißt es in der „Dokumentation“. Er war aber trotzdem kein Gewaltmensch. Behauptet wird, er wäre zänkisch, despotisch und ziemlich skrupellos gewesen. Mit Arbeitern und Bauern soll er nicht in Berührung gekommen sein. Die Autoren stellen ihn als „Getriebenen“ dar, der den Tod seines Bruders mit aller Gewalt rächen wollte. Dieser war nach einem gescheiterten Attentatsversuch auf den Zaren hingerichtet worden. Lenin erklärte dagegen: „Wir gehen einen anderen Weg.“ Sein Ziel, für die Völker Rußlands eine sozial gerechte Gesellschaft zu erkämpfen, wird in der Dokumentation in absurder Form als sein „Traum“ gewertet, das Land in ein „preußisches Büro“ zu verwandeln. Relativ breiten Raum nimmt die Reise der Bolschewiki im plombierten Wagen aus der Schweiz durch Deutschland nach Rußland ein.

Erwähnt wird, daß die Bolschewiki die einzige Kraft in Rußland waren, die die sofortige Beendigung des Krieges forderten. Es wird auch darauf hingewiesen, daß Lenin im Prinzip der Auffassung war, daß die sozialistische Revolution zuerst in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern ausbrechen würde. Er erkannte aber auch, daß Rußland das schwächste Glied in der Kette der kapitalistischen Staaten war und daher hier die Revolution beginnen könnte, die sich dann zur Weltrevolution entwickeln sollte. Grenzen hielt er für entbehrlich, und er wollte einen Dachverband der friedliebenden Menschen schaffen – heißt es in der Dokumentation.

Die Beziehungen zu Deutschland und der „Zarenmord“, den Lenin nicht befohlen hatte, spielen eine besondere Rolle in dem Film. Es wird zwar richtig festgestellt, daß der russische Zar wegen seines grausamen Vorgehens gegen friedliche Proteste und wegen der Unterdrückung von Minderheiten den Beinamen „der Blutige“ trug, aber er wäre nicht nur ein Machtzyniker, sondern auch seiner Familie treu ergeben gewesen. Er wird auch als sehr gebildet hingestellt, was nicht der Wahrheit entsprach. Richtig war die Bemerkung, daß es in Rußland keine Kraft gab, die das Ende der Zarenherrschaft bedauerte. Eine Anfrage in London ergab, daß man hier die Zarenfamilie nicht haben wollte. Das wäre aber nicht die Entscheidung der Regierung, sondern die des Parlaments gewesen.

Beim Frieden von Brest-Litowsk wird für den gewaltigen Gebietsverlust, den Rußland erleidet, nicht der raubgierige deutsche Imperialismus verantwortlich gemacht, sondern Lenins Politik.

Die Oktoberrevolution selbst spielt in der Dokumentation kaum eine Rolle. Immerhin wird zugegeben, daß die Provisorische Regierung die sozialen Probleme nicht gelöst und den Krieg nicht beendet hatte. Die Bolschewiki erhielten bei Wahlen in Moskau daher mehr als die Hälfte der Stimmen. Der bewaffnete Aufstand am 7. und 8. November 1917 wird erwartungsgemäß als Coup, als Staatsstreich, ausgegeben. Lenin habe zwar zum Sturz der Provisorischen Regierung aufgerufen. Die Führung des Aufstandes übernahm er jedoch nicht wegen seiner Geistesstärke, sondern er habe sich „wie ein Vampir“ von den Fehlern seiner Gegner ernährt. Von den Dekreten über den Frieden und über den Grund und Boden erfährt man nichts, ebensowenig über die grundlegende Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Es könnte ja jemand auf die Idee kommen, das heute unter veränderten Bedingungen zu verwirklichen.

Die Autoren kommen nicht umhin, zuzugeben, daß die eigentliche Revolution nur wenige Opfer gefordert hat. Sie behaupten nun, daß die Revolutionäre die Weinkeller der Zarenresidenz plünderten und in den folgenden Tagen betrunken viele Untaten verübten. Tatsächlich war es die einheimische Konterrevolution, unterstützt durch die Intervention von 14 imperialistischen Staaten, die für Millionen Tote im Bürgerkrieg die Verantwortung trug. Dem blutigen weißen Terror setzten die Bolschewiki ihren roten Terror entgegen und jagten Weißgardisten und ausländische Interventen zum Teufel. Trotz aller Schmähungen bleibt die Große Sozialistische Oktober-revolution 1917 in Rußland eine Sternstunde der Menschheit.

Bestimmt nicht ohne Absicht folgte im MDR unmittelbar danach eine Dokumentation unter dem Titel „Katharina die Große – die Zarin aus Zerbst“. Sie habe sich ähnlich skrupellos an die Macht gekämpft wie Lenin, indem sie durch eine Palastrevolution den Zaren Peter III. stürzte und später ermorden ließ. Hauptsächlich wird die Geschichte ihrer Liebschaften erzählt. Es wird aber auch nicht verschwiegen, daß unter ihrer Herrschaft der Bauernaufstand unter Pugatschow blutig niedergeschlagen und dieser hingerichtet wurde. Sie lehnte angeblich die Leibeigenschaft ab, führte aber ein Reihe von Reformen zur Festigung des feudalabsolutistischen Systems in Rußland durch. In zwei erfolgreichen Kriegen gegen die Türkei gelang Rußland in dieser Zeit der Durchbruch zum Schwarzen Meer. Nicht erwähnt wird, daß Rußland, Österreich und Preußen Polen unter sich aufteilten, so daß dieses Land aufhörte zu existieren.

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz Leserbriefe Bombengeschäft Zur neuerlichen Verunglimpfung der Oktoberrevolution Totengräber oder Scharlatan? „Haste was, dann biste was“? Christentum und Sozialismus – ein unaufhebbarer Widerspruch?





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