Sonntag, 5. Februar 2017

System-Krise - Franz Witsch

Mail von Franz Witsch:



Protektionismus im Vormarsch

Liebe FreundeInnen des politischen Engagements,

dass der Kapitalismus Unsinn produziert und braucht, um zu überleben und damit die Lebensgrundlagen der Weltbevölkerung massiv gefährdet, habe ich in meinen Büchern zur "Politisierung des Bürgers, 2. Teil: Mehrwert und Moral" (DP2) ausführlich beschrieben (vgl. DP2, S. 42, 103f, zusammenfassend S. 203-208).

Der Dokumentarfilm "Bauer unser" (Regie: Robert Schabus) zeigt, "richtig" hineingeschaut, dass die Produktion von Nahrungsmitteln dazugehört: in ihr wird viel Unsinn zum Nachteil der Ernährung der Weltbevölkerung produziert. Der tiefere Grund bestehe darin, dass im Kapitalismus der Konsum nicht umhin komme, von der Produktion getrennt, "ausschließlich für die kapitalverwertende Produktion da zu sein (...) [Dem] Augenschein nach, mag (...) [die] Produktion für den Konsum da sein; im Kapitalismus wird er indes hinterrücks von der Produktion getrennt, so das beide Bereiche schlussendlich nichts mehr miteinander zu tun haben" (DP2, S. 42), um jeweils immer mehr nur noch für das Kapital da zu sein.

Dass dem so ist, macht die Finanz- oder Schuldenkrise immer deutlicher. Sie ist tiefergehend Ausdruck einer fulminanten System-Krise; Systemkrise deshalb, weil sich der Kapitalismus keine Konjunktureinbrüche mehr leistet; die er deshalb auf Länder der Peripherie - z.B. Südeuropa, Dritte und Vierte Welt - verschiebt, um Industrieländer wie Deutschland, Japan, USA, China etc. möglichst lange zu verschonen.

Die Schonzeit neigt sich indes dem Ende zu; vornehmlich stark exportabhängige Ländern wie Deutschland und Japan müssen sich in Zeiten eines offen ausbrechenden Protektionismus durch die Regierung Trump immer wärmer anziehen. Ja und die Deutschen werden ohne EU/Euro noch schlechter aussehen als mit. Das wollen sie bislang, so wie deutsche Politiker andere EU-Länder wie Griechenland und Italien abkanzeln, nicht wahrhaben.

Die meisten Politiker, ziemlich einfältig, tun außerdem so, als sei der Protektionismus erst mit Trumps ("America first") in die Welt gekommen. Der fordert ihn für sein Land nur ganz offen, wissend, dass generell immer mehr ganz offen produziert wird nach der Devise "Rette sich wer kann". Wobei nicht nur der eine Kapitalist den anderen totschlägt, sondern auch ein Land auf Kosten des anderen sich besserstellen möchte, so Deutschland zusammen mit den Ländern der Nord-EU auf Kosten der Süd-EU. Schon lässt die Regierung Merkel durch ihren Finanzminister Schäuble vorab verlautbaren, man brauche "eine EU der zwei Geschwindigkeiten", ein ziemlich schönfärbender Ausdruck dafür, dass man die EU lieber an die Wand fährt als sich unbequemen Wahrheiten zu stellen.

Die zentrale unbequeme Wahrheit besteht darin, dass in einer Zeit, in der es buchstäblich keine "Mehrwert"-Produktion mehr gibt (vgl. DP2, S. 203-208) und damit der wirtschaftliche Spielraum für alle Beteiligten immer enger werden muss, jedes Land dazu übergehen wird, sich selbst mit Hilfe protektionistischer Maßnahmen zu schützen. Das führt zwangsläufig zu wachsenden Konflikten, Gewaltausbrüchen, Kriegen und Terror, auch innerhalb der EU, aber auch einzelner Länder.

Deutschland faselt zwar fleißig von freiem Welt-Handeln (TTIP, CETA), betreibt freilich Protektionismus viel länger und wirksamer als Trump, zumal gegenüber anderen EU-Ländern. Die EU ist buchstäblich ein Werkzeug wie auf Deutschland zugeschnitten für uneingestandenen und zynischen Protektionismus. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass man damit Euro und EU gegen die Wand fahren wird.

Um auf "Bauer unser" zurückzukommen: In dieser globalen Gemengelage offenen Protektionismus und wachsender globaler Gewalt, kann und wird es eine alternative Landwirtschaft nicht geben, es sei denn vereinzelt. Vereinzelte "gute" Vorbilder sind allerdings global kaum übertragbar, wo alle, nicht zuletzt Politiker, zusehen wollen, wo sie bleiben, ein Zusammenhang, den der Film "Bauer unser" komplett ausspart und deshalb, wie ich befürchte, öffentliche Förderung erhält. Unbenommen davon formuliert der Film massive Defizite, freilich Symptome, die wir alle schmerzhaft spüren, die es freilich möglichst systemneutral, den Kapitalismus aus der Schusslinie der Kritik haltend, zu verarbeiten gilt - Verdrängung pur.

Der Film unterschlägt indes nicht, dass in der vorherrschenden von der Industrie gesteuerten landwirtschaftlichen Produktion rund 40% der produzierten Lebensmittel vernichtet werden (ohne bei hungernden Menschen anzukommen), ohne allerdings hinzuzufügen, dass das im Kapitalismus nicht ausbleiben kann, u.a. weil Verpackung einer Tomate und ihr Weg hin zum Konsumenten, ganz zu schweigen zu hungernden Menschen, ein wesentlicher Kostenfaktor sind, der die Produktionskosten z.B. jener Tomate weit übersteigt. Also vernichtet man die Tomate. Allein man will sie nicht dem Risiko aussetzen, in den Regalen zu vergammeln, sodass man sie ohnehin vernichten muss. Daran ändern alle Hungertafeln dieser Welt absolut nichts.

Dass es zu dem eben beschriebenen Produktionsverhalten im Kapitalismus keine vernünftige Alternative gibt, thematisiert der Film nur in Spurenelementen. Er sagt zwar richtig, dass Kleinproduzenten weltweit vernichtet werden, auch in der EU, wiewohl sie effektiver und auch ökologischer produzieren; verschweigt aber, dass Kleinproduzenten gesamtwirtschaftlich keine großen Einkommenseffekte induzieren, die v.a. der (Sozial-) Staat braucht, um Rentner, Staatsangestellte zu versorgen und Banken vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Wir haben es hier mit einem Heer von Menschen zu tun, die mit dem, was sie produzieren, niemanden ernähren.

"Diese strukturelle Unmoral wächst auf der Grundlage, dass die Produktion von Unsinn zur Wert- oder Mehrwertbildung nichts beiträgt, aber dennoch am Tropf des Mehrwerts hängt, indem sie seine Produktion lediglich simuliert", simuliert durch eine durch wachsende Schulden finanzierte Produktion (DP2, S. 102); eine Produktion, die ihrerseits hohe Einkommenseffekte erzeugen muss, um Schulden möglichst lange bedienen zu können.

Dieser Teufelskreislauf lässt sich auf Dauer nicht aufrechterhalten. Zumal er, wie "Bauer unser" an Beispielen illustriert", Produktionsressourcen, die Menschen ernähren, zerstört und zugleich solche fördert, die niemand ernähren, aber Mehrwert für die Ernährung von hungernden Menschen absaugen. Auf diese Weise wird die Produktion (weltweit) immer sinnloser aufgebläht.

Hinzu kommt, in diesem sich aufbauenden Teufelskreis können sich die Länder immer weniger  selbst ernähren. Deshalb müssen sich die Länder zusammenschließen, z.B. in der EU. Innerhalb eines einzelnen Landes gibt intakte Produktionsketten ohnehin schon lange nicht mehr. Deshalb kommen einzelne Länder nicht umhin, auf den Export zu setzen, der wiederum im ein- wie uneingestandenen protektionistischen Modus "Beggar-my-Neighbour" die Finanzsphäre aufbläht, die ihrerseits dazu beiträgt, protektionistische Anwandlungen zu verschleiern - bis zu einem Punkt, wo eine Verschleierung nicht mehr möglich ist. Geht nichts mehr, gucken Politiker gewöhnlich nur noch blöd aus der Wäsche - dann, wenn sich die Finanzkrise nicht mehr unter dem Deckel halten lässt, sodass ein Konjunktureinbruch nicht mehr vermeidbar ist, finanzkrisenverstärkt zur Monsterkrise werden könnte.

Der eben beschriebene Zusammenhang, ich sag es immer wieder, hat nichts damit zu tun, dass die Vermögen immer ungleicher verteilt sind. Die Ungleichheit ist ihrerseits nur Symptom, nicht Ursache der Produktionmisere.

Unbenommen davon wird ein alternatives Wirtschaftssystem, wenn es denn keine Scheinalternative (wie damals die DDR) sein will,  dazu führen, dass sich Unterschiede in den Lebensverhältnisssen der Menschen nicht mehr rechtfertigen lassen. Das deutet der Film auf seine Weise an: Wir brauchen keine megagroßen Betriebe, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Schon gar nicht Politiker, die vornehmlich eine völlig aufgeblähte Industrie befördern, welche hocheffektive kleinbäuerliche Betriebe abhängig macht, um sie anschließend zu vernichten. Wie das passieren kann, zeigt der folgende Artikel "Die Weizenwertschöpfungskette" (http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59525), in dem es u.a. heißt:

"Die Bundesregierung fördert die Entwicklung von zur Saatgutgewinnung ungeeigneten Weizensorten mit Millionensummen. Die Gelder fließen unter anderem an den Chemieriesen Bayer, der sich gerade anschickt, seinen US-Konkurrenten Monsanto zu übernehmen. Bei Bayer wird bereits seit einigen Jahren an der Herstellung von sogenanntem Hybridweizen geforscht. Ein solches Getreide hätte aus Sicht des Konzerns den Vorteil, dass es in der zweiten Generation unerwünschte Eigenschaften hervorbringt, weshalb die Landwirte gezwungen wären, ihr Saatgut immer wieder neu und ausschließlich bei Bayer zu kaufen. Gelänge es zudem, die entsprechenden Weizensorten mit Resistenzen gegen die Unkrautvernichtungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel des Unternehmens auszustatten, wären weitere hohe Profite garantiert, da die Abnehmer des Saatguts auch die zugehörigen Agrochemikalien von Bayer beziehen müssten. Im Fall von Missernten hätte dies für die betroffenen Bauern katastrophale Folgen: Die Abhängigkeit von den Produkten des Konzerns würde sie erst in die Verschuldung und schließlich in den wirtschaftlichen Ruin treiben."

Fazit: "Bauer unser" zeigt wie andere Dokumentarfilme vor ihm (vgl. "Landraub" in: http://film-und-politik.de/RIH-Archiv.pdf, S. 86), dass "es so nicht weitergehen kann". Dass er das sagt, ist gut. Er sagt aber nicht, dass der Kleinbauer uns im Kapitalismus nicht retten wird, auch wenn nicht nur der Kleinbauer es gern so hätte.

Das entlastet freilich Politiker und Wirtschaftsführer keineswegs. Sie betreiben die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen mit geradezu krimineller Energie oder eben mit ausgesprochener Dummheit. Dumm möchte ich sie allerdings nicht gern nennen.

Herzliche Grüße
Franz Witsch
www.film-und-politik.de








Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen